Das Staatsarchiv in Chemnitz
Ich kann nicht sagen, welches Archiv für meine Neufassung der Linse-Biografie am wichtigsten war. Irgendwie sind sie alle wichtig gewesen, weil man in allen irgendwelche Informationen findet, die später an irgendeiner Stelle im Gesamtwerk wieder auftauchen. Und irgendwie sind auch die Archive, in denen sich nichts oder nur wenig Material befindet, von nicht zu unterschätzender Bedeutung, denn dann weiß man wenigstens, dass man eine falsche Spur verfolgt hat.
Nachhaltig in Erinnerung geblieben ist mir jedoch das Staatsarchiv Chemnitz, das ich im Verlauf der letzten Jahre mehrfach besucht habe. Als der Entschluss zur Überarbeitung gefallen war, blieb ich einmal dreieinhalb Tage dort, um mich durch die Akten zu wühlen, die seit dem Erscheinen meiner Biografie bekanntgeworden waren. Es waren dreieinhalb Tage intensiver Arbeit.
Das Archiv hatte ich zum ersten Mal kennengelernt, als es noch in der Schulstraße, weit im Süden der Stadt lag. Es war ein Ausweichquartier. Gut erinnere ich mich auch daran, wie ich am Empfang begrüßt wurde: Obwohl mein Besuch angekündigt worden war und ich alles, wie ich meinte, besprochen hatte, wollte mich die Dame am Empfang gar nicht erst einlassen. Sie war der Ansicht, dass ich nicht berechtigt sei, irgendwelche Akten einzusehen. Die Intervention der Referentin, die mich im Vorfeld beraten hatte, brachte sie zum Einlenken.
Jetzt befindet sich das Staatsarchiv zentraler gelegen, in der Elsasser Straße, so dass man es von der Innenstadt gut zu Fuß erreichen kann. Die Räumlichkeiten sind angenehm – auch nicht schlecht: die quietschgelbe Garderobe – und werden vom Publikum auch recht gut angenommen. Es ist immer etwas los. Auch die Stadt Chemnitz hat sich in den letzten Jahren gemausert und ihre Aufenthaltsqualität erheblich gesteigert.
Die Arbeit bleibt natürlich die gleiche: Man muss Akten durchforsten. In meinem Fall bedeutete das: in einem abgedunkelten Raum an einem riesengroßen Lesegerät sitzen und Rollfilme angucken. Ich hatte mir eine sehr, sehr lange Liste mit Akten gemacht, die ich alle durchsehen wollte. Ich wurde auch fündig, was bedeutete, dass ich nicht zu viel Zeit für meinen Chemnitz-Aufenthalt eingeplant hatte.
Im Staatsarchiv Chemnitz findet sich so viel Material, weil dort der Bestand „Industrie- und Handelskammer Chemnitz“ aufbewahrt wird, der glücklicherweise den Krieg überdauert hat. Linse war dort von 1938 bis 1949 in verschiedenen Funktionen tätig und hat dementsprechend viele Spuren hinterlassen. Es handelt sich zumeist um seine Korrespondenz, Aktennotizen, Gutachten und dergleichen mehr. Ich habe immer nach dem Kürzel „Dr. Li.“ im Briefkopf oder nach seiner Paraphe am unteren Rand des Dokuments gesucht.
Es war teilweise einfach nur eine Fleißarbeit (so kommt es mir zumindest vor). Ich musste wegen des Zeitdrucks schnell entscheiden, ob das Dokument wichtig war, und dann eine Papierkopie machen. Es gelang mir, den Gedanken an die horrenden Kosten dafür erfolgreich zu verdrängen. Den ziemlich großen Stapel habe ich dann in Ruhe zu Hause durchgearbeitet. Auf diese Weise habe ich – hoffe ich – die wesentlichen Dokumente gesichtet und für die weitere Verarbeitung im Gesamttext gesichert.