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Publikation der Biografie eines umstrittenen Stasi-Opfers.

Am 8. Juli 1952 wurde Walter Linse von der Stasi in West-Berlin entführt. Er entwickelte sich in der Folge zu einer Ikone für den Widerstand gegen die SED-Diktatur. 2007 publizierte ich eine Biografie, die zudem Linses Rolle im Nationalsozialismus thematisierte. Seitdem wird vor allem seine Beteiligung an der »Arisierung« in Chemnitz betont. Aber auch diese einseitige Betrachtung wird Linses Leben nicht gerecht: Beide Aspekte gehören zu seiner Biografie.
Funding period
10/19/17 - 11/20/17
Realisation
Dezember 2017 / März 2018
Website & Social Media
Minimum amount (Start level): €
2,600 €
City
Berlin
Category
Science
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03.11.2017

Walter Linse bei Wikipedia

Dr. Benno Kirsch
Dr. Benno Kirsch3 min Lesezeit

Wikipedia ist eine der genialsten Erfindungen der letzten Jahre: Wer Informationen zu irgend einem Thema sucht, wird hier in der Regel fündig. Und wenn Wikipedia nicht ausreicht, findet man zumeist wenigstens noch Hinweise auf weitereführend Websites oder analoge Literatur. Dummerweise ist Wikipedia immer wieder die Spielwiese von Rechthabern, Besserwissern, Querulanten und Ideologen. Nicht alles, was bei Wikipedia steht, ist wahr.

Auch der Eintrag zu Walter Linse ist ziemlich tendenziös (zugegeben: es war schonmal schlimmer als heute) und nicht ganz korrekt. Nachdem ich 2007 meine Biografie vorgelegt hatte, wurde der bis dahin rudimentäre Eintrag zwar bald ergänzt. Doch als der Streit um den nach Linse benannten Preis ausbrach, wurde der Eintrag fortan von einigen Administratoren scharf überwacht. Sie sorgten dafür, dass Linses Biografie so abträglich wie möglich dargestellt wird. Das heißt, dass nicht nur seine Beteiligung an der »Arisierung« in Chemnitz geschildert wurde, sondern dass auch Spekulationen wiedergegeben wurden, die zu keiner Zeit bewiesen werden konnten.

Bis heute (2. Nov. 2017) heißt es bei Wikipedia: »Linse stieg zum Hauptgeschäftsführer der IHK auf und führte in dieser Funktion 1946/47 die Entnazifizierung der steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe bei der IHK Chemnitz durch, wobei der von ihm geleitete Ausschuss in den entsprechenden Prüfungsverfahren in einigen Fällen auch schwerbelasteten Personen die Genehmigung zur Weiterführung ihres Berufs erteilt haben soll.«

Dieser Satz geht zurück auf eine »Kurzexpertise«, die sich leicht im Internet finden und als PDF herunterladen lässt – offensichtlich eine gute Voraussetzung, um bei Wikipedia als »reputabel« zu gelten. In diesem Text heißt es: Unter Linses »Vorsitz wurde in 61 Fällen über die weitere Tätigkeit von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern entschieden. Unter den Betroffenen können sich auch manche befunden haben, die Linse zwischen 1938 und 1942 als Treuhänder oder Liquidatoren jüdischer Betriebe eingesetzt hatte. Dies bedarf im Einzelnen noch weiterer Klärung. Soweit bisher festgestellt werden konnte, ließ der Ausschuss unter dem Vorsitz Linses jedenfalls selbst schwerbelastete Personen wieder zu. Damit sanktionierte Linse praktisch seine eigene Tätigkeit als ›Ariseur‹ der IHK.« Doch schon zu dem Zeitpunkt, als dieser Satz eingefügt wurde, konnte er nicht belegt werden, er war reine Spekulation.

In meinem Aufsatz »Walter Linse und der Nationalsozialismus« habe ich inzwischen detailliert rekonstruiert, wie die Entscheidungswege bei der Entnazifizierung in Sachsen gelaufen sind. Linse führte zwar den Vorsitz beim Sonderausschuss, den die Industrie- und Handelskammer aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift eingeführt hatte, aber Linse hatte hier nur eine koordinierende Funktion. Er hatte im Ausschuss nur eine Stimme, und dieser Ausschuss beriet in Zweifelsfällen intensiv mit anderen ähnlichen Ausschüssen und konnte am Ende nur Empfehlungen abgeben. Die Entscheidung über die Wiederzulassung des Antragstellers zu seinem Beruf fiel an anderer Stelle.

Sicher, es ist möglich, dass Linse größeren Einfluss auf die Verfahren nahm, als es aus den Akten hervorgeht. Allerdings lässt sich das nicht beweisen, und da ich weiß, wie Linse arbeitete, halte ich das für eher unwahrscheinlich. Aber bei Wikipedia spielt das irgendwie keine Rolle – weil der Aufsatz nicht online verfügbar ist und man sich einen Bibliotheksausweis besorgen müsste, um ihn zu lesen? Immerhin sind meine beiden Aufsätze, die ich 2016 über Linse veröffentlicht habe, von den Wikipedianern zur Kenntnis genommen wurden. Und zum Glück erscheint bald die Neuausgabe meiner Linse-Biografie, in der ich ausführlich auf diese Thematik eingehe. Vielleicht setzt sich am Ende auch auf Wikipedia ein Linse-Bild durch, das dem echten Linse nahekommt.

Foto: Fabrice Florin / flickr.com / CC BY-SA 2.0

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