„Heute würde man die Menschen, die wir beobachtet haben, vielleicht skurrile Typen nennen. Wir nannten sie ‚souveräne Menschen".
So beschreibt Joska Pintschovius, ein Freund von Christian Meurer, durch den ich zu diesem Film gekommen bin, seine filmischen Exkursionen mit Heino Jaeger, auf denen sie Menschen wie Ernst Otto Karl Grassmé in den 70er und 80er Jahren suchten, besuchten und filmisch festhielten.
Nach einem Abend des Filmclub im Kunst- und Kulturhaus M.1 in Hohenlockstedt, in dem ich von 2012 bis 2014 Dokumentar- und Essayfilme gezeigt und FilmemacherInnen zum Gespräch eingeladen hatte, erzählte mir Christian Meurer, Titanic-Autor, freier Journalist und Verfasser des wöchentlichen FAZ-Kreuzworträtsels zum ersten Mal von Ernst Otto Karl Grassmé. Bei einem zweiten Treffen zum Thema kamen zwei Bekannte von ihm dazu, Olaf Plotz und Lothar Pigorsch.
Alle drei Männer waren auch über 20 Jahre nach dem Tod dieses Mannes noch immer von ihm fasziniert. Die Frage war: Wovon genau?
Während der von der Filmwerkstatt Kiel geförderten Recherche entstand nach und nach das Bild einer Lebensgeschichte, bei der sich wenig einfach einordnen lässt."EOK", wie sie ihn nannten, war vieles für diejenigen, die ihm begegnet sind: Waldschrat, Unikum, Projektionsfläche. Unterhalter und Unterhaltung.
Er selbst ernannte sich z.B. zum Altonaer Bürgermeister im Exil und Chef einer Reihe jugendlicher ‚Sekretärinnen‘. Ausserdem bestätigte sich bei Akteneinsicht die Vermutung, dass er im Dritten Reich tatsächlich zwangssterilisiert wurde und nach dem Krieg dreimal erfolglos um Wiedergutmachung gekämpft hat, bis er durch seine Entmündigung daran gehindert wurde weiterzumachen.
Vor diesem Hintergrund wird aus der unbestimmten Faszination für eine skurrile Person das Bild einer komplexen Lebensgeschichte, und die Frage nach dem, was ein souveränes Leben ausmacht, bekommt eine andere Tiefe.
Um diese Frage ins Hier und Heute zu holen, werde ich Ernst Otto Karl Grassmé in einem magischen Prozess in "seinem" Moor filmisch zum Leben erwecken. Ein Wald voller Geister, aus Stimmen und Menschen, denen Ernst Otto Karl Grassmé begegnet ist, für die er etwas bedeutet hat. Ich werde diesen Film in einer einzigen Einstellung, einer langen Plansequenz drehen, in die diese Personen wie Schauspieler hineintreten. Dabei werden sie aus seinen Briefen und den Akteneinträgen zu seinem "Fall" aber auch aus ihren eigenen Erinnerungen und Aufzeichnungen vortragen. Alles findet in Echtzeit statt in dem bewaldeten Moorstück, in dem Ernst Otto Karl Grassmé einen Großteil seines Lebens verbracht hat. So wird er dort noch einmal, in einer filmischen Geisterbeschwörung, aufleben und mit dem Moor zu einem intensiven filmischen Erlebnis verschmelzen, das die Frage nach dem, was souveränes Leben ist, vergegenwärtigt.