Der Begriff der „Authentizität“ bedeutet so viel wie „Echtheit“. Zu unterscheiden sind dabei drei Dimensionen:
a) Wie erscheine ich anderen?
b) Wie bin ich für mich selbst? (D. h.: Was ist mein Selbstverständnis?)
c) Wie bin ich wirklich (unabhängig von allen Selbst- und Fremdzuschreibungen)?
Hält man sich diese drei Ebenen und ihre mannigfaltigen möglichen Wechselbeziehungen vor Augen, erkennt man schnell, wie spannend und problematisch der Begriff der personalen Authentizität zugleich ist. Meistens bezieht sich die Skepsis dabei auf die Frage, ob es die Ebene c) überhaupt gibt. Und wie könnte, wenn es sie gäbe, zwischen allen drei Ebenen jemals eine Einheit bestehen?
Im allgemeinen Diskurs wird entweder so getan, als sei der Begriff der Authentizität vollkommen unproblematisch – man assoziiert ihn etwa mit Bildern wie dem „kernigen Mann vom Lande“ oder dem „unschuldigen Mädchen“ – oder er wird, teilweise sehr polemisch, abgewertet, weil mit der Behauptung von etwas „Echtem“ stets die Abwertung des „Unechten“ verbunden sei.
Diese Debatte erhält insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Diskussion um „Identität“ eine neue Relevanz. Die Konzepte der „Identität“ und „Authentizität“ scheinen dabei eng miteinander verknüpft zu sein: Rechte meinen etwa, die Echtheit der abendländischen Identität gegen fremde Störungen verteidigen zu müssen, Linke kritisieren beispielsweise weiße Männer, die über das Leid von Schwarzen und/oder Frauen sprechen, da diesen die nötige authentische Erfahrung fehle.
Generell kommt heute der Authentizität von Politikern in der Debatte ein bemerkenswerter Stellenwert zu. Donald Trump wird etwa eine besondere Authentizität attestiert, die ihn gegenüber der „streberhaften“, „gekünstelten“ Art Hillary Clintons auszeichne; grünen Politikern wirft man vor, nicht wirklich authentische Klimaschützer sein zu können, wenn sie häufig das Flugzeug für Dienstreisen benutzen.
Der Blick in die Geschichte und die philosophischen Reflexionen können dabei helfen, zu verstehen, woher diese Intuitionen eigentlich kommen, was ihre Berechtigung und was ihre Grenzen sind. Hervorzuheben ist dabei insbesondere, dass es einen anderen, existenzphilosophischen Begriff von Authentizität gibt, der mit dem allgemeinen Begriff von ihr nur wenig zu tun hat. Denker wie Sartre, Nietzsche oder Kierkegaard etwa erblickten die Authentizität gerade nicht in einer identitären Abschließung, sondern in der Anerkennung der wesentlichen Offenheit des Menschen, der Sartre den Namen „Freiheit“ gab. Diesen existenzphilosophischen Begriff halten wir für bis heute sehr aktuell, weil er dazu taugt, krude Vorstellungen von Authentizität zu kritisieren. – Wobei natürlich gefragt werden muss, inwiefern der existenzphilosophische Begriff nicht bis zu einem gewissen Grad in den Problemen des populären befangen bleibt.
Das Ziel unseres Heftes ist es mithin nicht, eine klare Antwort zu präsentieren, was Authentizität sei, sondern eher unterschiedliche, mitunter widersprüchliche Perspektiven auf dieses Problem nebeneinander zu halten. Unsere Zielgruppe sind alle, die sich für den Problemkomplex Identität/Authentizität interessieren und darüber mehr lernen wollen.