Würde am Ende des Lebens
16/25
Wie Musik dazu beiträgt, die Patientenwürde am Ende des Lebens zu unterstützen, davon schreibt meine Klangvisite mit Harfe letzten Freitag auf der Palliativstation der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden.
Die sechzehnte und die beiden folgenden Klangvisiten habe ich mit der Palliativstation der HSK vereinbart. Auf der Palliativstation B22 werden Menschen im Rahmen einer weit fortgeschrittenen, unheilbaren Krankheit behandelt, die an starken körperlichen Beschwerden leiden. Vor drei Jahren habe ich im Rahmen meiner Hospiz- und Sterbebegleiterqualifizierung beim Hospizverein Wiesbaden Auxilium e.V. drei Tage auf Station erbracht, zwei davon mit meiner Harfe an den Krankenbetten der Patientinnen und Patienten. Besonders die gute Zusammenarbeit mit dem Team, in dessen Teambesprechungen und Übergaben ich eingebunden war, ist mir in angenehmer Erinnerung. Auch diesmal bin ich bei den Übergaben im Pflegeteam dabei und darf eigenständig auf die Patienten der Station zugehen.
Die Patientenbehandlung und die Pflege auf der Palliativstation B22 basiert auf einem würdezentrierten Ansatz. Dies wird sichtbar in Haltung und Kommunikation des Teams, der Art der Ansprache und Berührung der Patienten. Visiten am Krankenbett werden sitzend gehalten, so dass Ärzte und Pfleger mit den Patienten auf Augenhöhe kommunizieren. Den auf der Station Verstorbenen wird während der Teambesprechungen mit einem kurzen Innehalten, mit Klangschale und dem Lesen poetischer Zeilen gedacht.
Herzstück ist die würdezentrierte Therapie nach Chochinov. Dabei handelt es sich um eine wertschätzende Biographie-Arbeit, die Patienten auf Basis einer würdezentrierten Interviews ermöglicht, ihre Lebensgeschichte in Form eines Dokuments an ihre Angehörigen und Freunde zu erstellen und zu hinterlassen. In diesem Dokument wird festgehalten, wer der Verstorbene war, was ihn ausmacht, was von ihm bleibt, wenn er nicht mehr ist. Dinge, die nicht verloren gehen sollen, werden verewigt. So habe ich die B22 vor drei Jahren kennengelernt.
Bereits während der Pflegeübergabe wähle ich mir drei Patienten aus, auf die ich mich mit meiner heutigen Klangvisite fokussieren werde.
Meine Klangvisite beginnt im Wohnzimmer der Station, das für Patienten und Besucher gedacht ist, ein gemütlicher Ort des Rückzugs und Ausruhens. Mit ruhigen und lieblichen Melodien auf Harfe beginne ich hier die musikalische Kontaktaufnahme, und webe die Harfenklänge im Flur und den geöffneten Zimmer sanft in die Atmosphäre ein. Nach einigen Stücken beginne ich, mich den Patienten auf den einzelnen Zimmern vorzustellen und biete eine Klangvisite mit Harfe am Krankenbett an.
Eine ältere Dame wünscht sich ausdrücklich die Harfenklänge auf ihrem Zimmer. Sie geniesst sichtlich die Stücke, die ich an ihrem Krankenbett spiele und lauscht ganz entspannt. Währenddessen unterhalten wir uns ein wenig, und ich bin beeindruckt von ihrer unerschrockenen und aufrechten Haltung, ihrem eigenen Sterben zu begegnen. Ganz beseelt von der Musik beschreibt sie, wie sehr der Klang sie beruhigt und sie ihre Umgebung im Krankenzimmer vergessen lässt. Sie drückt es wortwörtlich so aus: „Der Klang ist Raum. Das beruhigt, ich fließe damit hinein und fühle mich wie in einem Raum, wie in einer Kirche, nicht mehr wie in dem Zimmer hier. Ich fühle mich ganz durchdrungen, das hält jetzt ein paar Stunden oder auch Tage an.“
Der Mann im nächsten Zimmer ist selbst eine musikalische Entdeckung. Er wünscht sich keine Harfe, ist aber froh, als ich mich für ein Gespräch zu ihm setze. Auch ohne Harfe und handgemachte Musik finde ich über die Musik schnell Zugang zu ihm und seinem vielfältigen Leben als Musiker, Journalist, DJ und Moderator.
Bei Radio Rüsselsheim hat er Sendungen erstellt, in denen er versuchte, möglichst viele Facetten von Rock und Blues vorzustellen. Dabei war egal ob die Blues-Musik aus den tiefsten Sümpfen aus Louisiana, aus Bayern oder den Färöer-Inseln stammt. In einer ergänzenden Sendung führte er mit einfühlsamer und ganz besonderer Musik aus aller Welt durch das Programm. Als Musiker war er immer wieder bei Plattenfirmen unter Vertrag und ist in den 90ern durch Europa getourt. Er war Kopf, Stimme und Texter der Band. Wenn sie auf die Bühne kamen, war der erste Satz „Wir sind Sonderfeld“.
Das weckt mein Interesse, und mit meinem Smartphone zaubere ich über youtube und meinen kleinen JBL-Lautsprecher seine eigene Musik auf sein Krankenzimmer. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch verlinke ich einen seiner Titel: C'est pas ici. Dieser im besonderen ist von Charles Aznavour inspiriert. J'éspere que tu ne regrette... je veux vivre mais pas ici... mourir c'est difficile pour moi. Gitarrensounds und Lyrics aus den 90ern, die weit zurück aus seinem Leben nun in sein Krankenzimmer klingen. Sonderfeld. Für mich eine musikalische Entdeckung.
Auf den Wunsch des Chefarztes spiele ich zuletzt noch für eine Dame, die schon nicht mehr ansprechbar ist, leise und sehr zarte Klänge am Krankenbett.
© Astrid Marion Grünling
www.klangvisite.de