„Die Philosophen haben die Welt bisher nur männlich interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie auch weiblich zu interpretieren, um sie menschlich verändern zu können.“
(Irmtraud Morgner, Amanda. Ein Hexenroman, 1983)
Die Schriftstellerin Irmtraud Morgner, von der dieses Zitat stammt, wurde 1933 in Chemnitz geboren und verlebte dort ihre Kindheit und Jugend bis zur Aufnahme ihres Studiums in Leipzig. Ihr Werk ist durchdrungen von Erinnerungen an ihre Heimatstadt und die Orte ihrer Kindheit. Ihre Erzählungen und Romane wurden von der Frauenbewegung der 1970er Jahre begeistert aufgenommen.
Frauen haben seit jeher ihren Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft geleistet, nicht selten blieben ihre Erfolge – anders als bei Morgner, der zu Lebzeiten wie nach ihrem Tod große Beachtung zuteil wurde – eher unbeachtet, geringgeschätzt oder nicht erwähnenswert. Die Aufmerksamkeit lag und liegt häufiger bei Männern und ihrer Leistung.
Wir wollen mit unserem Dokumentarfilmprojekt „Hurra! Es ist ein Mädchen!“ die Leistungen von Frauen aus Chemnitz herausstellen und würdigen, indem Leben und Wirken ausgewählter Vertreterinnen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und Epochen filmisch erzählt werden. Chemnitzer Geschichte wird erlebbar durch weibliche Biografien, die sich einfügen in das Gesamtbild der Stadt – von der Gründungsgeschichte bis in die Gegenwart.
Im Film sollen Lebensläufe von Frauen aufgeblättert werden, die anders verliefen als männliche, da sie anderen biografischen Rhythmen unterworfen waren, neben der Arbeit bestimmte die Familie den Takt. Prägend für Frauenbiografien der Vergangenheit waren darüber hinaus versperrte Wege zu Bildung, Politik und bezahlter Arbeit, was beschränkte Entfaltungsmöglichkeiten zur Folge hatte. Umso beachtlicher erscheinen vor diesem Hintergrund die Lebenswege von Frauen wie Gertrud Caspari (1873 – 1948), Martha Schrag (1870 -1957) oder Helene Funke (1869 – 1957).
Von Helene Funke etwa gibt es aus den ersten 30 Jahren ihres Lebens, die sie in Chemnitz verbrachte, fast keine Unterlagen darüber, wo und bei wem sie die Malerei erlernt hat, da Frauen in der damaligen Zeit keinen Zugang zu Universitäten hatten. Sie mussten den Umweg über eine Ausbildung bei einem praktizierenden Künstler wählen. Doch Malerinnen gerieten leicht in Verruf, zweifelhafte Existenzen zu führen, als Gattinnen, Musen oder Modelle ihrer männlichen Kollegen. Helene Funke ging ab 1899 an die Münchner Damenakademie und hielt sich von 1905 bis 1913 in Frankreich auf, bevor sie 1913 nach Wien zog. Als Künstlerin, nicht als Touristin dokumentierte sie in zahlreichen Fotos ihr Leben in Paris.
Die Chemnitzer Kunstsammlungen zeigen vom 4. November 2018 bis 13. Januar 2019 die erste Einzelausstellung mit Werken Helene Funkes in Deutschland.
Synopsis:
Eine Stadtschreiberin heutiger Zeit entdeckt in den Archiven von Chemnitz einen Verweis auf die erste namentlich bekannte Hebamme der Stadt, Mutter Käthe, aus dem Jahre 1522. Dort findet sich auch ein Hebammeneid nebst Unterschriften von Hebammen ab 1750. Die Stadtschreiberin, die die Stadt im Morgnerschen Sinne als Flaneurin durchstreift und Zeugnis von dem gibt, was sie sieht und erfährt, wird so in gewisser Weise zur Geburtshelferin für die weibliche Seite der 875jährigen Chemnitzer Geschichtsschreibung. So führt uns die Stadtschreiberin an Chemnitzer Orte, zu historischen Gebäuden, an Wirkungsstätten von Frauen, die Großes geleistet und damit auch die Geschicke der Stadt bewegt haben.
Geschichte wird in unserem Projekt durch die biografischen Skizzen der nachfolgend aufgeführten Persönlichkeiten erfahrbar:
Anna Keel (1940 - 2010) | Malerin
Beatrix Haustein (1974 - 2002) | Schriftstellerin
Brigitte Stefan (*1952) | Sängerin
Bruni Löbel (1920 – 2006) | Schauspielerin
Elfriede Vey (1922 – 1997) | Radrennfahrerin
Elisabeth Opitz (1902 – 1993) | Bildhauerin/Märchenforscherin
Emy Schmidt-Rottluff (1884 – 1975) | Fotografin
Frieda Freise (1886 - 1938) | Ärztin
Gertrud Caspari (1873 – 1948) | Kinderbuch-Illustratorin
Gertrud Korb (1910 - 1989) | Ärztin
Helene Funke (1869 – 1957) | Malerin, Grafikerin
Helene Wagner (1870 – 1945) | Politikerin
Hildegard Krahmer (1912 – 1985) | Puppenherstellerin
Irmtraud Morgner (1933 - 1990) | Schriftstellerin
Jutta Müller (* 1928) | Eiskunstlauftrainerin
Magdalena Müller (1887 – 1943) | Buchhändlerin
Maria Schmid (1901 – 1983) | Lichtbildnerin
Marianne Brandt (1893 – 1983) | Designerin, Fotografin, Malerin und Bildhauerin
Marie Pleißner (1891 – 1983) | Frauenrechtlerin, Lehrerin
Marie Tilch (1902 – 1981) | Stenotypistin, Kommunistin
Martha Schrag (1870 -1957) | Malerin, Grafikerin
Minna Simon (1845 – unbekannt) | Weiferin, Streiksprecherin
Richenza von Northeim (1087-89 - 1141) | Klostergründerin, Herzogin in Sachsen, Königin und Kaiserin
Rosl Schönfeld (1921 – 2013) | Operettensängerin
Traude Hanf (1912 – 2004) | Tänzerin
Fakten:
VÖ: D 2018
Länge: 145 Minuten
Regie: Beate Kunath in Zusammenarbeit mit Ursel Schmitz
Schauspiel: Martina Hesse
Voiceover: Nina West, Martina Hesse, Andreas Klumpf
Kamera: Beate Kunath
2. Kamera: Ralf Glaser
Schnitt: Beate Kunath
Schnittberatung: Sirko Knüpfer, Elke Koepping, Hendrik Reichel
Requisite: Torsten Neundorf
Licht: Hendrik Reichel
Musik: Ksenija Ladić
Sounddesign / Tonmischung: Sebastian Reuter/Klangkosmonauten
Geräuschemacher: Peter Sandmann
Farbkorrektur: Domingo Stephan/wave-line
Recherche: Beate Kunath, Ursel Schmitz, Andrea Rüthel, Andrea Feldmann, Babett Poetzsch
Text: Beate Kunath, Ulrike Almut Sandig
Grafik/Titeldesign/Poster/Flyer/DVD: Eléonore Roedel
Trailer: Sylvia Steinhäuser
Produktionsleitung: Iris Tätzel-Machute, Ilona Seifert, Beate Kunath
Produktion: [bi:kei] productions/Beate Kunath
in Kooperation mit akCente e.V./Frauenzentrum Lila Villa