Federweißer und Zwiebelkuchen
9/25
Was hilft, wenn man einen schweren Verlust erlitten hat? Einfache Dinge wie Zuhören, zusammen Weinen und vielleicht sogar zusammen Lachen können wunderbar Trost spenden. Dass Angehörige auch nach dem Tod eines Angehörigen nicht alleine gelassen werden und welche Angebote es zur Trauerbegleitung in Wiesbaden und Mainz gibt, davon erzählt meine Klangvisite von letztem Freitag...
Meine neunte Klangvisite im Rahmen meines Projekts führte mich letzten Freitag zum fünften Mal ins Hospiz Advena in Erbenheim.
Schon als ich meine Harfe im Wintergarten des Hospizes für meine Klangvisite im Haus startklar mache, fällt mir dort ein festlich eingedeckter Tisch auf. Ich frage die Pflege nach dem Anlass und werde auf das monatlich stattfindende Advena-Café aufmerksam gemacht. Dies ist ein offenes Angebot des Hauses für Angehörige, von denen ein nahestehender Mensch im Hospiz gerade begleitet wird oder der dort gestorben ist und offen für alle Trauernden in Wiesbaden. An jedem ersten Freitag im Monat von 17 bis 19 Uhr finden Angehörige, die einen Menschen verloren haben, im Wintergarten bei Kaffee, Tee und Kuchen Zeit und Raum, um in schwerer Zeit nicht alleine sein, miteinander zu reden, sich zu erinnern, Trost zu finden und neue Kontakte zu knüpfen. Das Café Advena wird von ehrenamtlichen Hospiz- und Trauerbegleiterinnen liebevoll ausgerichtet und von einer Trauerbegleiterin und ehrenamtlichen Hospizbegleiterin geleitet. Von der hauptamtlichen Seelsorgerin Jutta Justen wird zusätzlich Einzeltrauerbegleitung angeboten. Da noch zwei Stunden Zeit ist, bis die Gäste eintreffen, nehme ich mir vor, später mit Harfe vorbeizuschauen und beginne meine Klangvisite mit Harfe wie üblich auf den Fluren.
Diesmal beginne ich oben im ersten Stock auf dem Flur zu spielen. Herr Franz (Name geändert) hat heute Geburtstag. Eine Schnapszahl. Gerade ist seine Frau bei ihm, mit der er letzten Samstag den fünfzigsten Kennenlerntag feiern durfte. Eine Pflegerin fragt die Bewohner auf den Zimmern nach, wer gerne die Tür zum Flur offen stehen haben möchte, um die Musik zu hören. Bei geöffneten Türen spiele ich eine knappe Stunde bretonische Melodien, verträumte englische Stücke und ruhige eigene Kompositionen. Auch wenn ich nicht auf die Zimmer einbezogen werde und die Angehörigen unter sich bleiben, spüre ich an den Kommentaren vorbeigehender Besucherinnen und Pflegerinnen, dass meine Musik in den Bewohnerzimmern präsent ist und aufgenommen wird. Als die Frau von Herrn Franz geht, lässt sie die Zimmertür offenstehen. Ich sehe, wie er sich träumend in seinem Sessel neben dem Bett zurücklehnt und die Musik geniesst.
Wieder unten im Erdgeschoss nehme ich mir eine kleine Kaffeepause und komme mit den ehrenamtlichen Kräften ins Gespräch, die gerade dabei sind, das Angehörigen-Café vorzubereiten. Eine Dame freut sich ganz besonders über die Harfe und lässt sich meinen Kontakt geben. Sie will unbedingt, dass auf ihrer eigenen Trauerfeier einmal Harfe gespielt wird. Die ersten Gäste trudeln ein, und bald sind alle Plätze an dem gedeckten Tisch besetzt. Neben Kaffee und duftendem Apfelkuchen gibt es Federweißer und Zwiebelkuchen. Eine ehrenamtliche Dame hält eine kurze, einfühlsame Ansprache für die Anwesenden. Nach ihren einleitenden Worten beginne ich mein Harfenspiel, halte mich damit jedoch im Hintergrund, um dem rege sich entspinnenden Austausch zwischen den Trauernden Raum zu lassen. Ich spiele eine ganze Weile stimmungsvolle Harfenmusik und lege mit meinen Harfenklängen einen tragenden Klangteppich für die Anwesenden in den Raum.
Dabei kommt mir ein zurückliegender Dialog zwischen zwei älteren Damen in den Sinn: Die Harfe heilt, sagte die eine Seniorin zur anderen. Nein, das hilft mir auch nicht mehr, sagt die angesprochene Dame im Rollstuhl. Aber sie hilft Tragen, sie hilft das Schwere zu tragen, erwidert die erste. Und eine feine kulturelle Freundin von mir hat es während dem Weinfest so ausgedrückt: Weißt du, Astrid, ich hatte letzthin eine schwere Zeit. Da habe ich mir deine CD mit der Harfenmusik eingelegt. Und, was soll ich sagen, die Harfenklänge nehmen die Schwere vom Herzen.
Wieder im Foyer im Erdgeschoss, komme ich in Kontakt mit dem Sohn und der Ehefrau eines betagten Mannes am Ende des Flures. Mein Angebot, mit Harfe aufs Zimmer zu kommen, nehmen sie erfreut an. Der Mann war Zitherspieler. Und so ist das erste, was ich jetzt über meinen Smartphone-gesteuerten Bluetooth-Lautsprecher erklingen lasse, die auf Zither gespielte Filmmusik aus dem Film „Der dritte Mann“.
Auch in der musikbiographischen Betreuung von Senioren habe ich einer ehemaligen Zitherspielerin eine große Freude gemacht, indem ich das Stück abspielen ließ. Sie war zu Tränen gerührt. Durch die Musik wurden Erinnerungen an eine für sie wichtige und schöne Zeit in ihrem Leben wach.
Der Bewohner hingegen ist zu unruhig, um auf das Stück reagieren zu können. Seinen unruhigen Bewegungen ist nicht zu entnehmen, ob er erkennend reagiert oder nicht. Sekundenweise könnte man es vermuten. Da die Unruhe sehr im Vordergrund steht, lasse ich das Stück verklingen und beginne, beruhigende und betont langsame eigene Kompositionen auf Harfe zu spielen. Die Angehörigen sind angetan. Ob die Unruhe des Herrn sich etwas verringert, ist jedoch schwer zu sagen. Ich spiele noch ein Weilchen und lasse dann den kleinen Familienkreis unter sich sein.
Bevor ich packe, schaue ich nach Herrn Franz im ersten Stock, um noch ein paar persönliche Worte mit ihm zu wechseln und ihm zu seinem heutigen Geburtstag zu gratulieren. Ein unter der Zimmerdecke über seinem Pflegebett mit der Ziffer 50 bedruckter Gasballon zeugt vom Tag des 50jährigen Kennenlern-Jubiläums, das er letzten Samstag mit seiner Frau feiern durfte. So wie ich ihn verstehe, hat das Team des Hospizes ihm und seiner Frau den Ballon zukommen lassen. Und heute nochmal Blumen zu seinem Geburtstag. Die goldene Hochzeit jedoch, die im Spätherbst nächsten Jahres ansteht, glaubt er, nicht mehr zu erleben. Wir unterhalten uns noch ein wenig. Er erzählt mir von seiner Chemotherapie, die er im Krankenhaus durchmachte, und dass diese viel weniger schlimm gewesen sei, als er erwartet hatte. Es gäbe so viele und gute Medikamente heute, die Folgen der Chemo einzudämmen, so dass er sich nur zwei Mal hätte erbrechen müssen. Ich bin überrascht. Aber es käme natürlich auf die Art der Chemotherapie an, meint er, und er habe wirklich Glück gehabt.
Ich will ihn nicht zu sehr anstrengen, er hatte mit den Besuchen, so sehr er sich darüber freute, einen anstrengenden Tag heute. Und er habe die Harfenmusik vorhin, zurückgelehnt in seinem Lehnsessel, sehr genossen.
Mit dem Besuch von Herrn Franz komme ich heute zum Abschluss meiner Klangvisite im Hospiz, denn auch mit meinen Kräften will ich besser haushalten. Die letzten Male hatte ich mich übernommen, was ich allerdings erst hinterher spürte, während der Arbeit merke ich das nicht, weil ich da im Flow bin.
Anlässlich meiner Klangvisite im Angehörigen-Café im Hospiz Advena will ich noch auf das breite Angebot von Trauerbegleitung im Raum Wiesbaden und Mainz eingehen:
Das oben beschriebene Advena-Café im Hospiz Advena ist ein offenes Angebot im Bereich Trauerbegleitung in Wiesbaden für Menschen, von denen ein nahestehender Mensch im Hospiz Advena begleitet wird oder der dort verstorben ist sowie für Trauernde in Wiesbaden. Zusätzlich wird Einzeltrauerbegleitung von der hauptamtlichen Seelsorgerin und Trauerbegleiterin Jutta Justen angeboten. Mehr Informationen:
https://www.hospizium-wiesbaden.de/showcontent/Regelmaessige_Termine/Angehoerigen_Cafe.html
Ein weiteres offenes Angebot zur Trauerbegleitung bietet der Wiesbadener Hospizverein Auxilium e.V. mit einem offenen Gesprächstrauerkreis unter der Leitung der Trauerbegleiterin Bianca Verse an. In einer zusätzlichen geschlossenen Trauergruppe wird in einer kleinen Gruppe in geschütztem Rahmen während zehn Treffen mit gezielten Themen, Übungen, Ritualen und Phantasiereisen der Trauerprozess unterstützt. Neu ist seit Januar 2018 auch Trauer in Bewegung am jeweils ersten Sonntag eines Monats. Ein weiteres offenes Treffen für trauernde Menschen bietet Auxilium als Kooperationspartner mit dem Trauercafé an jedem ersten Donnerstag im Monat im Kirchenfenster Schwalbe 6 an.
Alle Angebote des Hospizvereins Auxilium zur Trauerbegleitung zur Gruppen- und auch Einzelbetreuung findet man unter:
https://www.hvwa.de/angebote/trauerbegleitung/angebot.html
Das Kinderhospiz Bärenherz bietet eine Vielzahl an Angeboten der Trauerbegleitung für die erkrankten Kindern selbst sowie ihren Geschwistern, Eltern, Verwandten:
https://www.kinderhospiz-wiesbaden.de/de/unsere-arbeit/trauerbegleitung/
Der Verein trauernder Eltern Mainz unterstützt Eltern nach dem Verlust eines Kindes, ihren individuellen Weg zurück ins Leben zu finden:
https://eltern-kinder-trauer.de
Die Flüsterpost e.V. Mainz bietet Unterstützung für Kinder krebskranker Eltern:
https://kinder-krebskranker-eltern.de/
Einen etwas anderen Stammtisch zum Thema bieten Corinna Leibig und Daniela Glänzer mit Let's talk about Death am letzten Donnerstag im Monat von 19 - 21 Uhr im GODOT | DieKulturWerkstatt in der Westendstraße 23, 65195 Wiesbaden:
https://www.lets-talk-about-death.de/
Emma hilft! Ist das etwas andere Therapiebegleithunde-Team von Ivana Seger: Emma bezaubert, Emma hört zu und tröstet, Emma hilft!
http://www.emmahilft.de/http___www.emmahilft.de/Willkommen.html
Mit meiner mobilen Klangvisite komme ich ans Krankenbett nach Hause, ins Seniorenstift, Hospiz und auf Palliativstation und lasse mit Harfe, Ukulele und Gesang Senioren, Kranken und Menschen in ihrer letzten Lebensphase Augenblicke der Freude, des Trostes und der Beruhigung erleben, wenn Worte angesichts Krankheit nicht mehr ausreichen oder möglich sind:
www.klangvisite.de