Seit fast dreieinhalb Jahren läuft der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München. Am Anfang standen Aufregung um die Vergabe der 50 Presseplätze und hochfliegende Erwartungen an die juristische Aufarbeitung der brutalen und tödlichen Verbrechensserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Insbesondere die Hinterbliebenen der Mordopfer und die Opfer der Anschläge und Raubüberfälle erwarten umfassende Aufklärung und Rehabilitierung. Schon Monate vorher hatte sich NSU-Watch gegründet, ein Zusammenschluss zahlreicher antifaschistischer Recherche-Initiativen und -Personen, um den Prozess und die Aufarbeitung des NSU-Komplexes unabhängig und kritisch zu begleiten. NSU-Watch hat von Beginn an alles ausführlich - nah an einer wörtlichen Mitschrift - protokolliert und im Internet dokumentiert. Referent_innen sind unermüdlich unterwegs, um die enorme Nachfrage nach kritischen Berichten aus dem Prozess und zum gesamten NSU-Komplex zu befriedigen. Alles in allem fanden bisher mehrere Hundert Veranstaltungen statt.
Zeitgleich zum nicht enden wollenden Prozess ist so viel passiert: rassistische Massenproteste, Pegida, der gesamteuropäische Rechtsruck, der Aufstieg der völkisch-nationalistischen AfD, die Explosion der Gewalt gegen Geflüchtete, die auf bedrückende Weise an die 1990er Jahre und deren Pogrome erinnern. Mit einem Sprengstoffanschlag auf muslimische Einrichtungen in Dresden im September 2016 ist eine neue Eskalationsstufe erreicht worden.
Aber auch in Sachen NSU hat sich einiges getan: In Brandenburg nimmt der zwölfte parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zum NSU-Komplex die Arbeit auf. In den betreffenden Bundesländern haben sich »Landesprojekte« von NSU-Watch gegründet, um sechs von insgesamt sieben derzeit laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschüssen kritisch zu begleiten: in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Baden-Württemberg und Sachsen sowie in Berlin den 2. Bundestags-Untersuchungsausschuss. Die Arbeit hat sich damit vervielfältigt und immer mehr Menschen sind im überregionalen Netzwerk von NSU-Watch involviert.
Im Zentrum des medialen Interesses steht aber nach wie vor der Prozess in München und dort insbesondere Beate Zschäpe, die sich mit zunächst nur verlesenen, neuerdings aber auch selbst gesprochenen Einlassungen zwar selbst gern als Opfer des NSU darstellt, aber es doch immer wieder versteht, sich in den Mittelpunkt zu drängen. Medial gelingt es ihr allzu oft: Als Frau Zschäpe am 313. Hauptverhandlungstag ihre »piepsige« Stimme vernehmen ließ, war das der wahrnehmbare Knüller des Tages. Dass am selben Tag ein ehemaliger Referatsleiter aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz im zweiten PUA des Bundestages der vorsätzlichen Vernichtung von Akten mit NSU-Bezug kurz nach dem Auffliegen des NSU am 04.11.2011 bloßgestellt wurde, blieb hingegen Randnotiz.
Seit dem 06. Mai 2013 – also seit inzwischen dreieinhalb Jahren - sitzt an jedem Prozesstag mindestens ein_e Beobachter_in von NSU-Watch im OLG München und protokolliert den Strafprozess gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André Eminger, Holger Gerlach und Carsten Schultze. Dies waren bis heute 320 Verhandlungstage, deren Protokolle öffentlich einsehbar auf www.nsu-watch.info nachgelesen werden können.
Wer hätte geahnt, dass sich der Prozess derart in die Länge ziehen würde. Endlose, kraft- und geduldzehrende bald 350 Tage vor Gericht liegen hinter uns. Doch wir sind nicht am Ende! Wir sehen ganz klar, dass trotz personellen, finanziellen und kräftemäßigen Durststrecken, trotz eines hohen Maßes an Desillusion und Enttäuschungen ein Aufgeben nicht in Betracht kommt: Wir sind in das Verfahren mit dem Vorsatz gestartet, eine kontinuierliche und schonungslose Begleitung des Prozesses zu organisieren. Und das ist uns gelungen, dank der unablässig fließenden, zum Teil ungeheuer großzügigen Spenden und der immer wieder geäußerten Wertschätzung unserer Beobachtungsarbeit und der großen Fülle an Hintergrund- und Analysematerial.