Seit ich 11 bin, ist Alopecia Areata meine, mehr oder weniger, ständige Begleiterin, mein Dreh- und Angelpunkt, meine Quelle der Verzweiflung, meine Hasskappe, mein Geduldsfaden und seit kurzem meine Inspiration. Schon 15 Jahre lang, ist jeder Blick in den Spiegel, eine Übung zu sagen, zu bestätigen und zu fühlen: ich finde mich schön! Viele Jahre in denen ich, im Anbetracht des offensichtlichen „Nichts“ auf meinem Kopf, in immer wiederkehrenden Gedankenschleifen versuche Antworten zu finden auf die Fragen nach (meiner) Weiblichkeit und Schönheit. Neid im Anblick von Freundinnen mit blonder Lockenpracht und Friseurbesuchen, begleiten diese Jahre, ebenso wie eine unbändige Sehnsucht genau wie „jedes andere normale“ Mädchen, Mascara, Zopfgummis und Conditioner zu kaufen und die große Frage, ob man(n) Glatzen genauso ekelhaft findet, wie so manches Mal, ich selber meine eigene… Es entwickeln sich ausgeklügelte Improvisations-, Retuschierungs-, und Camouflage-Strategien, Ausreden für Schwimmbadbesuche und Übernachtungsparties, denn über allem schwebt die Angst, „entdeckt“ und „bloß“ gestellt, „ent-fraulicht“, in die „krank“-Ecke geschoben und letzten Endes als abstoßend empfunden zu werden. Tiefsitzend die Überzeugung, dass jede Frau voller Mitleid und jeder Mann ohne Interesse auf dieses „ich“ schaut ohne Haare, ohne Wimpern, ohne „Alles“. Ich will zwar besonders, aber nicht anders sein, vor allem aber will ich kein Mitleid und keine Sonderwurst. „Schönheit kommt von innen!“ und „Liebe dich selbst, so wie du bist!“ mutieren zu einer ewigen Leier einer lästigen Phrasendreschmaschine. Lange glänzende Haare als Identitätskomponente, Visitenkarte und Aushängeschild, aber bei mir hängt nichts, ach, stell‘ dich nicht so an, es sind ja „nur“ die Haare. Sicher, Arm oder Bein ab, wäre schlimmer, aber trotzdem, ist das deswegen nicht einfach, schön und gut.
Es kostet mich Jahre und tagtägliche Kraft, Geduld und Überzeugungsarbeit die Begriffe „Glatze“ und „Schönheit“ nicht als Paradoxon zu empfinden. Heute ist die „Glatze“ für mich Ausdruck von Verletzlichkeit, Angst, Zartheit, Intimität und Blöße. Mit ihr verbinde ich viele Jahre (Selbst) Hass, Ekel, Zweifel, Traurigkeit, aber mehr und mehr auch Selbstliebe, Geduld, Schönheit und Ästhetik. Mit „Schönlinge“ begebe ich mich genau auf die Suche nach dieser Schönheit, die sich für mich in dem Moment des scheinbaren Widerspruchs, des Bruchs und der Sprengung von Idealen und Erwartungen zeigt.
Alopecia Areata (AA) ist eine zwar weitverbreitete, aber nicht bekannte Autoimmunerkrankung von der alleine in Deutschland mehr als 1 Millionen Menschen betroffen sind. AA kennt kein Geschlecht, kein Alter und keine Kulturen. Ursache und Heilung sind bisher nicht vollends geklärt, die medizinischen Ansätze zahlreich und die Therapieerfolge dementsprechend so individuell verschieden wie die einzelnen Betroffenen. Tatsächlich ist die AA oft das „Stiefkind“ der Autoimmunerkrankungen, haben Betroffene meist keine Schmerzen, sondern „nur“ ein kosmetisches Problem. Dieses „Problemchen“ hat mein ganzes Leben und Frausein geprägt und meine heutigen Begriffe von Schönheit und Weiblichkeit, nicht nur in Bezug auf Haarlosigkeit, sondern ganz generell hinsichtlich jeglicher Form von Makel, Andersartigkeit und dem vermeintlich „Anormalen.“
Innerhalb des Projektes werden Ingrid und ich jede mutige Frau an ihrem Wohn(-und Wohlfühl) Ort aufsuchen. So sollen natürliche und unverstellte Bilder entstehen in ihrer Haarlosigkeitpracht, Momentaufnahmen mit ihren Kindern,
Partnern oder alleine, draußen, drinnen, so privat und so intim, wie jede mag. Ergänzt werden die Fotografien durch kleine Interviews: „Hast du ein anderes Wort für ,Glatze‘?“ – „Wenn Deine Glatze sprechen könnte, was würde Sie jetzt sagen?“- „Wie fühlt sich deine Glatze an?“ – „Was ist das Beste an deiner Glatze?“ – „Was findest du an dir besonders schön?“
Die Fotos und Texte sollen dann in Form einer Wanderausstellung in den Heimatorten der Frauen ausgestellt werden.
Als "Ermöglicher_Innen" sorgt ihr für mehr Alopecia Areata Awareness und seid Teil eines Diskurs über Schönheit und die Ästhetik des Ungewöhnlichen, des Anderen, des Imperfekten, Makel- und Wahrhaften. Somit sprengen wir gemeinsam die normativen Schönheitsideale und Erwartungen, aber auch den Druck, den jeder kennt, diesen entsprechen zu wollen oder müssen.
Die Ermöglicher_Innen erscheinen ausnahmslos auf der "Ermöglicher_Innen"-Liste für die Danksagung der Vernissage und in den Fotobüchern. Desweiteren nehmt ihr Teil am Prozess, wenn wir euch Fotos von der Reise zu den Schönlingen schicken und bleibende Erinnerungen in Form eines (Mini-)Fotobuchs überreichen. Außerdem bekommt ihr die Gelegenheit die Projektfotografin Ingrid Hagenhenrich in Aktion bei einem persönlichen Shooting zu erleben.
Das Geld fließt in die Reisekosten zu den "Schönlingen", sowie in die Entwicklung und Rahmung der Bilder, die Durchführung der Ausstellung und deren "Wanderung" zu den verschiedenen Orten.
Zwischen August 2015 und Januar 2016 fahren wir auf mehreren größeren Deutschlandtouren zu den jeweiligen Schönlingen. Im Frühjahr/Sommer 2016 findet dann die Vernissage in Münster statt, bevor sich die Ausstellung auf die Reise begibt...
Lisa Haalck, selbst betroffen seit dem 11. Lebensjahr, Theaterpädagogin, Psychologiestudentin und Initiatorin des Projektes.
Ingrid Hagenhenrich, Heldin, Fotografin und Mitbegründerin des Projektes.