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Sachsens bekanntester Klimaschützer Christian Bläul wurde nicht gekündigt, weil er sich auf Straßen festklebt.
Startnext News

Sachsens bekanntester Klimaschützer Christian Bläul wurde nicht gekündigt, weil er sich auf Straßen festklebt.

Denis Bartelt
27.02.2023
12 min Lesezeit

In den letzten Tagen haben einige, nicht zu wenige, Medienhäuser im deutschsprachigen Raum die Information verbreitet, dass Christian Bläul seinen Job als Entwickler bei einem IT-Unternehmen (gemeint ist hier Startnext), verloren hat, weil er sich als Aktivist von der “Letzten Generation” immer wieder auf Protesten und sogar im Gefängnis befunden hat, statt zu arbeiten.

Den Startnext-Kenner:innen ist aufgefallen, dass dies niemals mit den Werten unseres Sozialunternehmens zu vereinbaren wäre. Es stimmt offensichtlich nicht.

Warum ist das eine Richtigstellung von uns wert?

Seit einigen Tagen erreichen uns vermehrt Rückfragen von unseren Nutzer:innen zur Entlassung von Christian. Kann es sein, dass Startnext sich zwar den Nachhaltigkeitszielen (kurz SDG) verschreibt, unzählige Klima-Projekte fördert (z.B. Mein Baum – Mein Dresden) und eine zertifizierte Benefit Corporation (kurz B Corp.) ist, dann aber einen Mitarbeiter „feuert“, weil er sich dem Klimaschutz verschreibt? Das ergibt keinen Sinn und ist auch nicht passiert.

Wie entstand der Aufreger?

Laut Christian schrieb die Bild-Zeitung zuerst über seinen neuen Beschäftigungsstatus “arbeitslos”, woraufhin sich Sachsen Fernsehen bei ihm für ein Interview meldete. Mit Tag24.de und t-online.de hatte Christian daraufhin weitere Interviews, wie er mir bestätigt hat. Berichtet, und zum Teil von der Bild-Meldung abgeschrieben, haben unter anderem der Focus, DK-Online,  nau.ch, shz.de, Norddeutsche Neueste Nachrichten usw. Legt man alle Artikel übereinander, so entsteht ein spannendes Bild von ein und derselben Sache. Quellen und Zitate habe ich am Ende des Beitrags angehängt.

Der Tenor dieser News-Artikel ist, Christian Bläul wurde gekündigt, weil sein Aktivismus für (s)einen Arbeitgeber nicht tragbar sei. Jetzt müsse der “Klima-Kleber” von Arbeitslosengeld leben. Das mag für den einen eine Genugtuung sein, andere werden denken “auf meine Kosten”. Ob jemand verstanden hat, was Christian dazu bewogen hat, bleibt fraglich. Ob es sozial gerecht ist, dass Christian jetzt Arbeitslosengeld 1 bekommen könnte, wird gerade heiß diskutiert.

Christian bei Startnext

Christian Bläul war als Entwickler zwei Jahre bei Startnext angestellt und hoch angesehen, für seine Berufserfahrung, seine fachliche Kompetenz und auch für seinen Klima-Aktivismus, den wir als Team eben auch dadurch unterstützt haben, dass wir flexibel mit Urlauben umgehen, unbezahlten Urlaub gewähren, der für Aktivismus genutzt werden kann. Auch wenn spontane Ausfälle, wie zur ungeplant langen Haft in Schweden (drei Wochen), unser kleines Team vor Herausforderungen gestellt hat, so überwog für uns immer die gemeinsame Auffassung, dass friedlicher Ungehorsam die Klimabewegung und damit den Druck auf amtierende Politiker erhöhen kann. 

Christian Bläul hat seine Arbeitsstunden und damit auch seinen Lohn zugunsten seines Protestes Stück für Stück verringert, bis er im letzten Jahr für sich die Entscheidung getroffen hat, sich dem Protest der “Letzten Generation” vollständig zu widmen. Für unser Team war die Entscheidung von Christian konsequent und logisch. Wir haben seine Kündigung angenommen und uns einvernehmlich auf sein Ausscheiden bei Startnext geeinigt und sind seinem Wunsch nach formaler Kündigung durch uns nachgekommen.

Wir wissen, dass er uns als Projektstarter und Crowdfunder verbunden bleiben wird.

Was einige Menschen denken

Im weiter unten verlinkten Artikel von focus.de war eine Umfrage via Opiniary eingebunden mit der Frage: Haben Sie Verständnis für die Aktionen der Klimaaktivisten?

Zum Zeitpunkt meiner Recherche am 23.02.2023 hatten 40.091 Focus lesende Menschen abgestimmt. Das Ergebnis fällt eindeutig aus: 94% aller Stimmen lehnen diese Aktionen eher ab. 2% der Stimmen halten die Aktionen eher für sinnvoll. 4% der Stimmen verteilen sich in der unentschiedenen Mitte.  

Screenshot von Focus.de Opinary Plugin

Ich habe mich gefragt, warum Christians Kündigung so relevant für die Medien ist? Warum erhitzt seine persönliche Entscheidung die Gemüter? Ist sie so unverständlich?

In den sozialen Medien, so berichtet mir Christian selbst, geht es noch wesentlich rauer und ungesitteter zu. Dort wird diskutiert, man solle ihm seine zwei Kinder wegnehmen oder ihn gleich ins Gefängnis stecken.

Thesen für dieses Dilemma 

Ich habe ein paar Thesen, deren Antworten ich nicht kenne und hier auch nicht erörtern möchte, vielleicht aber Teil der Debatte sein könnten.

Aus meiner Sicht leistet Christian eine Form von Care-Arbeit. Care-Arbeit hat keinen guten Stand in Deutschland, sie wird wenig wertgeschätzt und ist unterbezahlt. Warum ist Ankleben Care-Arbeit? Darüber könnte ich einen extra Beitrag schreiben. Kurz gesagt versucht Christian uns den Spiegel vorzuhalten, damit wir unser Handeln reflektieren können, in der Hoffnung, dass wir seinen Rat annehmen und aus Fehlern lernen. Ich selbst kann die Klebe-Aktionen tolerieren, würde sie selbst allerdings nicht zum Mittel meiner Wahl machen.

Christians Kündigung ist relevant weil:

  • Autofahrer:innen vom Kleben so genervt sind, dass ihr Frust in sozialen und somit auch Massenmedien ein Echo findet

  • Es lässt sich sehr viel Geld (über Anzeigen) mit dieser Form des Journalismus, Click-Baits und sozialen Kommentaren verdienen

  • Algorithmen in den sozialen Medien sorgen dafür, dass das Thema relevant genug ist und dies führt dazu, dass Medienhäuser nachlegen müssen, um relevant zu bleiben bzw. ihre Deutungshoheit erhalten zu können

  • Es wird die Sorge genährt, dass es Menschen nachmachen werden und noch mehr Störung im Alltag entsteht

  • Der Eindruck entstehen könnte, Christian läge dem Sozialstaat durch ALG 1 oder dem Bürgergeld auf der Tasche und finanziere damit seinen Aktivismus

  • Immer häufiger machen sich Menschen aus der Gruppe der Ablehnenden auf radikalere Weise Luft über ihren Unmut (allerdings nicht zum Klimawandel, sondern über die Warnenden), für die Presse ist Christian auch ein Grund dieser Aufregung

  • Menschen, die sich nicht ausreichend mit ihrem CO2-Fußabdruck beschäftigen, werden von der „Letzten Generation“ nahezu täglich an ihr Verhalten erinnert, das ist unangenehm und stört

Ich gebe zu, ein paar dieser Thesen lassen sich mit Aussagen aus dem umstrittenen Buch von Richard David Precht und Harald Welzer – „Die vierte Gewalt“ verbinden, welches ich unter anderem gerade lese.

Aus meiner Sicht wurde ein Großteil dieser Artikel verfasst, weil es sich lohnt, der erzeugten Erregungswelle noch einen weiteren Schubs zu geben. Dadurch wächst sie an und auf dem Höhepunkt verdienen alle das meiste Geld durch zielgruppenspezifische Anzeigen, die links, rechts, über und unter dem Artikel Aufmerksamkeit suchen.

Fairerweise ist zu sagen, die „Letzte Generation“ nutzt diesen Mechanismus für ihren friedlichen Ungehorsam aus.

Was könnte anders laufen?

Was sich stattdessen am besten verkaufen sollte, sind Antworten auf die Fragen, wie wir die kommenden Probleme durch die Klimakatastrophe lösen werden, denn wir sind alle mitverantwortlich.

„How dare you“ würde Greta Thunberg dazu sagen, dass Teile unserer Medienlandschaft sich scheinbar nicht als Förderer der Veränderung betrachtet, sondern, wie ich finde, in eine Art Treibe-die-Erregungskurve-auf-den-Höhepunkt-Journalismus schlittert. Der, so vermute ich, in Kürze durch die inzwischen ebenso eloquenten und „schlauen“ Text-Bot-KIs à la ChatGPT ersetzt werden wird. “KI's (künstliche Intelligenz), die im Sinne des Anzeigenverkaufes die Erregung hin zum Höhepunkt manipulieren.” Mir gefällt der Gedanke nicht. Und ich teile hier Prechts und Welzers Auffassung, dass auf diese Weise eine Demokratie, also Teilhabe der Gesellschaft am politischen Diskurs, nicht mehr ausgewogen und sachlich funktionieren wird. Das reale Bild wird stark verzerrt. Als Hauptverursacher dieser Schieflage sehe ich vor allem das Prinzip der Renditemaximierung für Shareholder und Aktionäre, welche Grundlage des Handelns im extra dafür angestellten Managements dieser Medienhäuser ist. Dass wir in Deutschland die Nachrichtenqualität noch differenzieren können, liegt vor allem an Institutionen wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem Recherche Kollektiv Correctiv.org und Redaktionen mit hoher Qualitätskontrolle, wie der Zeit und Spiegel.

Klimathemen werden es in den institutionalisierten Medien weiterhin schwer haben, außer jemand findet endlich den ökonomischen Vorteil an positiven und empowernden Beiträgen. 

Ein Ansatz wäre, die Algorithmen in sozialen Medien auf Aktivismus umzustellen oder den Algorithmen eine Ethik zu verpassen, auf die wir uns einigen können. Ein Manifest, eine Agenda … SDGs. Eine Timeline auf Twitter, Youtube, Instagram und TikTok, die Beiträge, die die SDGs fördern, bevorzugt, das wäre vmtl. eine einfache Lösung. Es wäre immer noch manipulativ, aber eben im Sinne einer lebenswerten Zukunft auf diesem Planeten.

Was ich mir von der schreibenden Zunft wünsche: Schaut auf die ehrlichen Gründe, schaut tiefer, ergänzt Perspektiven - das kostet mehr, ist aber auch wertvoller.

Was Christian Bläul in gewisser Weise sehr radikal vorlebt, ist das, was uns allen in einigen Jahren oder Jahrzehnten blüht. Reduzieren, abgeben, teilen und nicht auf Dinge bestehen, weil wir sie verdient haben oder etwas schon immer so war. Christian Bläul gehört zu den sehr privilegierten Menschen unserer Gesellschaft und er hat sich dazu entschieden, diese Privilegien zu nutzen, für eine Sache, hinter der er steht. Das ist sein gutes Recht, es ist für ihn möglicherweise leichter möglich als für andere, sein Verzicht ist dennoch das, wovor die meisten Angst haben. Hier lohnt sich ein tiefergehender journalistisch aufgearbeiteter Exkurs.

Welche Verantwortung haben wir als Konsument:innen?

Es ist leicht, auf ein bestehendes System zu schimpfen. Schwieriger ist es aus meiner Sicht, eigenes Verhalten umzustellen. Ich glaube, wir können dennoch selbst steuern, wo es unsere Medienlandschaft hintreibt.

Hier ein paar Gedanken:
  • Correctiv.org unterstützen
  • für Qualitätsjournalismus bezahlen

  • Werbung und targeting blockieren

  • selbst in die Debatte einsteigen und laut werden

  • Multiperspektivität fordern

  • öffentlich-rechtliche Medien stärken

  • zwischen der Bedeutung von Social Media und Journalismus klar unterscheiden

Und ja: Wir haben einen sehr guten Mitarbeiter an die Klima-Bewegung „verloren“. Das macht uns auch stolz, denn es steht im Einklang mit unseren Werten und dem Manifest.

Wir haben deshalb jetzt eine wirklich tolle Stelle frei: „Software-Entwickler:in Backend“. Wer mit uns auf die Reise gehen möchte, darf sich bewerben. Startnext und über 1.900.000 Nutzer:innen unterstützen Projekte und Menschen, die, wie Christian, Dinge zum Positiven verändern wollen. 

Mutige gestalten die Zukunft

Danke für deine Aufmerksamkeit
Denis (Mitgründer von Startnext)

PS.: Dieser Artikel ist nicht nach journalistischen Standards verfasst, sondern bildet meine Perspektive auf diesen speziellen Fall ab, sowie meine Beobachtungen der letzten Jahre. Danke an Christian für dein Engagment bei Startnext und für's Klima.

Quellen:

Benedict Bartsch von Sachsen Fernsehen schreibt am 20.02.23 um 18:16 Uhr

„Dresdens wohl bekanntester Klima-Kleber Christian Bläul engagiert sich seit wenigen Tagen nun Vollzeit für den Schutz des Planeten. Von seinem Job als Software-Entwickler wurde er gekündigt“.

Thomas Fischer und Torsten Pauly schreiben und zitieren auf Bild.de am 21.02.2023 - 20:13 Uhr 

„Dem gelernten Physiker wurde bei einem Dresdner IT-Unternehmen als Software-Entwickler gekündigt. Doch Bläul sieht das gelassen, sagte dem  Sachsen Fernsehen Dresden: „Ich habe zwölf Jahre durchgearbeitet, bekomme nun erst mal finanzielle Unterstützung von der Agentur für Arbeit.“ Außerdem habe er nun deutlich mehr Zeit für weitere Klima-Aktionen.“

Der Focus (ohne Redakteursangabe) schreibt am 21.02.23 um  0:31 Uhr

„Der bekannteste Klima-Kleber Sachsens hat wegen seiner zeitraubenden Proteste seinen Job verloren. … Dem gelernten Physiker wurde von einem Dresdner IT-Unternehmen gekündigt.“

t-Online.de Redakteur Matti Hartmann schreibt am 21.02.23

„20.000 Euro Strafe - Letzte Generation"-Aktivist gefeuert – was er nun plant … Nun wird sein Aktivismus fürs Klima wohl eine Lücke in den Lebenslauf reißen: Sein Arbeitgeber hat das Mitglied der "Letzten Generation" gefeuert.“

Es geht aber auch anders, denn TAG24 Autor Eric Hofmann schreibt am 20.2.2023 - 20:04 Uhr

„JOB GEKÜNDIGT! CHRISTIAN BLÄUL IST JETZT HAUPTBERUFLICH KLIMASCHÜTZER“ Sinngemäß schreibt Hofmann, dass Christian als Software-Entwickler bei Startnext gut verdient hat und den unlimitierten Urlaub gut für seine Aktionen bei „Extinction Rebellion“  und „Letze Generation“ genutzt hat. Er zitiert Aussagen von Christian: "Irgendwann habe ich mich schlecht wegen der Kollegen gefühlt, deshalb habe ich mich kündigen lassen und Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. So habe ich auch mehr Zeit für den Aktivismus.“ 

Auf seiner Homepage schreibt Christian Bläul selbst am 23.2.23 über seine Vollzeit Arbeit als Klimaschützer

Foto von https://www.flickr.com/photos/8743511@N04/ kayserlover

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