Die Harfe hilft Tragen
11/25
Wie beruhigend Harfenklänge wirken in der sozialen Begleitung von Menschen, die Sterben, Tod und Trauer erleben, davon erzählt meine Klangvisite im Hospiz Advena von heute.
Zum siebten Mal bin ich auf Klangvisite mit Harfe im Hospiz Advena.
Zuerst schlage ich das Erinnerungsbuch auf, um mich ins Bild zu versetzen, wer noch unter uns ist und wer uns in der letzten Woche verlassen hat. Zu meiner Überraschung ist Herr Stiller (Name geändert) noch da. Ein anderer Bewohner jedoch, der zusammen mit seiner Frau die Harfe so genossen hat, ist von uns gegangen. Letzte Woche hatte ich noch kurz bei ihm vorbeigeschaut. Er sah hinfälliger aus als die Wochen davor, hatte aber noch ein freudiges und gütiges Lachen im Gesicht, das dennoch seine Anstrengung kaum verbergen konnte. Schön, dass wir uns noch voneinander verabschiedet haben. Die Seelsorgerin des Hauses erzählt mir in der Übergabe, dass er sehr entspannt ausgesehen habe nach seinem Tod.
In einer ausführlichen Übergabe klärt sie mich weiter über das Befinden der Bewohner auf, über Neuzugänge und Verstorbene und wem heute eine Klangvisite am Krankenbett besonders guttun würde. Sie nennt mir eine Frau im Erdgeschoss, die sehr durcheinander sei und die sich bestimmt freuen würde, wenn ich mit Harfe bei ihr vorbeischaue. Mit diesen Informationen plane ich meine heutigen Wege im Hospiz und beginne zunächst, im Foyer im Erdgeschoss zu spielen.
Gleich zu Beginn wird der ältere Herr, der schon letzte Woche in erster Reihe vor mir saß, in seinem Rollstuhl ins Foyer geschoben, wo ich bretonische Melodien auf Harfe zum Klingen bringe.
Auch diesmal sammeln sich Menschen in kleinen Grüppchen um mich. Und wieder fühle ich mich wie Julie Andrews in der Rolle der Maria Augusta Trapp in der Filmszene in Meine Lieder – meine Träume.
Noch während meines Spiels bemerke ich in meinem Rücken, dass hinter mir Menschen stehen. Nach dem Stück halte ich kurz inne und wende mich ihnen zu. Es ist die Dame, die vor einer Woche neu ins Hospiz kam, und die ich letzte Woche noch nicht persönlich zu Gesicht bekam. Ich hatte mich jedoch länger mit einer Freundin und Kollegin von ihr unterhalten. Die Bewohnerin steht nun mit zwei ihrer langjährigen Freundinnnen, die sie besuchen, hinter mir. Sie sind aus der Gartenlaube nach drinnen gekommen, wo es kühler ist. Es ist nochmal ein sehr heißer Sommertag heute. Die Frauen lauschen den Melodien und haben vor Berührtheit Tränen in den Augen. Ich lade die drei ein, sich zu uns zu setzen. Die Dame wird in ihrem Rollstuhl herangeschoben, so dass sie vor mir sitzt. Ihre Besucherinnen stehen hinter und neben ihr und halten sie an Schultern und Händen. Während meines Spiels beobachte ich sie. Die anfängliche Berührtheit, die auch Tränen zum Fließen bringt, Tränen der Berührtheit und Tränen der Traurigkeit, weicht einer Ruhe, die sich mehr und mehr auf ihrem Gesicht ausbreitet. Sie wirkt zunehmend fester. Fest und ruhig. Gefasster. Zwischendurch wechseln wir ein paar Worte. Wie lange ich schon Harfe spiele, fragt sie mich. Und sagt mir, wie sehr die Harfe sie berührt. Bevor sich das kleine Grüppchen wieder raus ins schattige Grün der Gartenlaube setzt, sagt sie noch, wie sehr sie die Harfe beruhigt. Und ja, das sieht man ihr auch wirklich, wirklich an.
Die Tochter von Herrn Stiller (Name geändert) kommt durch den Eingang ins Foyer und begrüßt mich freudig. Ja, er ist noch da, und es habe Herrn Stiller und auch ihnen, den Angehörigen, noch lange nach meinem Besuch sehr gut getan, dass ich bei ihm reingeschaut habe. Er wäre nach meinem Besuch noch eine ganze Weile munter und wacher gewesen und hätte sogar gegessen. Nun ist er nicht mehr ansprechbar und isst und trinkt nichts mehr. Ich verspreche, nachher vorbeizukommen.
Nachdem ich noch kurz auf dem Flur spiele, beschließe ich, nach der Dame zu schauen, die die Seelsorgerin mir zu besuchen empfohlen hat. Auf dem Weg zu ihr schaue ich kurz im Zimmer bei Herrn Stiller vorbei. Vier seiner Angehörigen sind da. Herr Stiller ist nun wirklich nicht mehr ansprechbar. Zur Begrüßung lege ich meine Hand auf seine und halte sie während der Zeit meines Besuchs. Wieder beeindruckt mich, wie schon letzte Woche, die Gelöstheit, die die Angehörigen ausstrahlen. Ja, es herrscht eine gelöste und fast heitere Stimmung um sein Krankenbett. Traurigkeit ist schon auch da, aber keine Schwere. Das ist die Stimmung, in der Herr Stiller aus dem Leben geht, und die ihn umgibt. Nach einem kleinen Weilchen verabschiede ich mich und gehe zu der nächsten Dame aufs Zimmer.
Die Bewohnerin, neu auf Station, finde ich in der Stimmung vor, die die Seelsorgerin mir bereits beschrieben hat. Ein bisschen durcheinander, sie weiß garnicht wo sie ist, will nach Hause und kennt das alles hier nicht. Ich stelle mich als die Frau mit der Harfe vor und frage sie, ob sie die Harfe gern mal auf ihrem Zimmer erleben würde. Oder ob sie vielleicht lieber ihre Ruhe möchte. Sie aber ist neugierig, und ja, ich soll mit der Harfe kommen. Also hole ich Harfe und Keyboardstuhl und beginne an ihrem Krankenbett zu spielen. Das erste Stück verfolgt sie wach und klatscht am Ende. Sie freut sich wirklich. Beim zweiten Stück bemerke ich, wie sie die Augen schließt und sich ganz den Klängen hingibt. Sie wirkt dabei sehr entspannt und träumerisch. Unter ihren geschlossenen Augen spüre ich ihre entspannte Wachheit. Intuitiv erfasse ich, dass bei ihr weniger mehr ist, und belasse es bei den beiden Stücken. Sie ist sehr dankbar für mein Spiel, und bevor ich die Harfe wieder aus dem Zimmer trage, schaut sie sich das Instrument sehr interessiert an. Sie habe noch nie eine Harfe von so nah gesehen. Sie fragt mich noch, oder schon wieder, ob ich immer sonntags komme. Es ist Donnerstag heute, aber ich mache da keine Debatte draus und sage einfach, dass ich einmal die Woche da bin. Da sie müde ist, wünsche ich ihr eine gute Nacht.
Ich gehe nach oben, und dort bei jedem einzelnen Bewohner kurz aufs Zimmer. Herr Franz (Name geändert) hat Besuch und möchte sich weiter in Ruhe unterhalten, da er sich sehr über seinen Besuch freut. Ich ziehe mich zurück und frage die anderen Bewohner, ob sie der Musik bei geöffneten Zimmertüren lauschen oder lieber für sich sein möchten. Dann spiele ich eine ganze Weile auf dem Flur, wohlwissend, dass die Klänge die Bewohner auf ihren Zimmern erreichen. Im Vorbeigehen flüstert mir eine Besucherin zu, wie schön sie die Musik findet, als sie aus dem Zimmer ihres Mannes kommt. Ich spiele noch ein Weilchen beruhigende und liebliche bretonische Stücke und lasse dann meine Klangvisite ausklingen.
© Astrid Marion Grünling
www.klangvisite.de