Auszug aus einem Prosatext von Paula Schweers
Verstand einer, die Lebenden
Mia
Ob die Flächen stetig brach liegen oder doch von Schnee bedeckte Felder sind?
Die Umrisse auf den Bahnsteigen, nervöse, hellwache Jugendliche oder Schichtler, die
ihre Zigaretten auf die Gleise werfen bevor sie einsteigen. Der Film aus Restmüdigkeit
auf den Augen trübt die Farben ein. Hinter den Scheiben, im Halbdunkel, das standardisierte
Bild deutscher Kleinstädte [Aschersleben, Gatersleben, Sandersleben in Vervielfachung],
Bild um Bild um Bild in den Bahnübergängen blasse Schriftzüge. Trotz der Kälte
schläft einer im Shirt, ohne Jacke direkt auf dem Bahnsteig. Seine linke Wange berührt den
Boden, die Arme und Beine sind leicht abgewinkelt. Die Züge des Gesichts kann sie nicht
erkennen. Jemand hat sich über den Liegenden gebeugt und tastet dessen Oberkörper ab
während die Umstehenden ihre Hände in choreografischer Abfolge vor die Gesichter
schlagen und wieder sinken lassen. was für eine schlechte show! hätte Leo in guter Tagesform
dazu gesagt und: keine angst, der simuliert. ich seh’s von hier. Sie sieht ihn vor sich im Gang auf
dem Boden sitzen; breit grinsend, in einer dicken Jacke die sie nie an ihm gesehen hat, die
Mütze nicht ganz über die Ohren gezogen, ein paar Locken fallen ihm in die Stirn. Das
Gesicht darunter kennt sie auswendig. An einem weniger guten Tag hätte er sich von ihr
abgewendet, auf zwei Sitzen ausgestreckt und mit der Jacke fest um den Körper gewickelt,
alles verschlafen. Sie lächelt aus Gründen, die nicht zur Rücksprache geeignet sind. Eine
Frau nickt ihr zu. Etwas fällt von der Gepäckablage. Aus einem der hinteren Abteile hört
sie eine Stimme, die sie zu kennen glaubt. /Mann ruft einen Mädchennamen/
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