Denn du bist bei mir
18/25
Wie Harfenmusik Lebensfeiern am Krankenbett gemeinsam mit der Klinikseelsorge gestalten kann, durfte ich heute bei einer Trauung am Krankenbett auf der Palliativstation der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden erfahren.
Etwas abgehetzt komme ich heute auf Station. Zwei Busse waren hintereinander ausgefallen, und so kämpfte ich mich mit reichlich Verspätung im überfüllten Bus zur HSK Klinik. Gerade komme ich noch so zur Übergabe, dass ich alle für meine Klangvisite am Krankenbett notwendigen Informationen zu den Patienten bekomme.
Im Wohnzimmer der Palliativstation baue ich meine Harfe auf. Ich bin nicht allein im Raum. Ein älteres Ehepaar sitzt am Aquarium und redet leise miteinander. Dabei wiegt die Großmutter ihr Enkeltöchterchen in einem Schaukelstuhl leise hin und her. Wir kommen miteinander ins Gespräch. Ich erkläre ihnen, warum ich hier bin, was ich mache und biete an, auf Wunsch auch mit meiner Harfenmusik aufs Zimmer zu kommen. Der junge Chefarzt Dr. med. Daniel Stanze kommt zu dem Ehepaar, um ihnen zu sagen, dass sie jetzt aufs Zimmer zu ihrer Tochter gehen können.
Jetzt bin ich allein im Raum. Um einen ersten klanglichen Kontakt mit den Patienten aufzunehmen, spiele ich eine Melodie in den Raum und die Flure, eine kleine Träumerei in E-Dur, die erst in den letzten Tagen entstanden ist. Auf einer Zugfahrt mit Harfe nach Hamburg am letzten Wochenende habe ich deren beruhigenden Effekt selbst am eigenen Leib erfahren können. Normalerweise musiziere ich ja selbst dauernd aktiv und erlebe mich nur selten in der Rolle der Empfangenden meiner eigenen Musik. Nach einem Vorfall in der Bahn, auf den ich gestresst reagierte, griff ich instinktiv zu meinem Handy, auf dem ich meine Musik aufnehme und speichere. Immer und immer wieder hörte ich mir die kleine Träumerei in E-Dur an. Die ruhigen Klänge bewirkten unmittelbar eine Entspannung des gesamten Muskeltonus, insbesondere im Nacken, meine Anspannung löste sich augenblicklich und mein Atem wurde tief und ruhig. So gelang es mir in kürzester Zeit, wieder in meine Mitte zu kommen und den Rest der Zugfahrt zu geniessen.
Nach der kleinen Träumerei summe ich, begleitet von meinen Harfenklängen, die Melodie des Lebenslieds, das ich für die Farewell-Feier zu Ehren einer Verstorbenen letzten Samstag in Hamburg komponiert und als Erinnerungs-CD für jeden Gast hatte produzieren lassen. Den Text lasse ich hier auf Station weg, nur die Melodie und die Harfenklänge schweben im Raum und locken eine Besucherin an. Die Dame, ganz entzückt von der Harfenmusik, stellt sich mir als die evangelische Pfarrerin der Klinikseelsorge vor. Es gibt Menschen, mit denen Gespräche sehr schnell tief und wesentlich werden. Ein solches Gespräch entwickelt sich zwischen uns. Wir sprechen über Leben, Tod und Trauer, über unsere Arbeit und die Begleitung von Kranken, Sterbenden und Angehörigen. Aus der Übergabe weiß ich, dass für eine junge Frau und Mutter hier auf Station eine Trauung am Krankenbett in der nächsten Zeit angedacht ist. Wie schnell dies wahr werden sollte, habe ich in diesem Augenblick nicht ahnen können...
Immer wieder kommen Angehörige und Besucher in das Wohnzimmer, zum Reden und zum Verweilen. Ich bemerke, wie wohltuend sie die Harfenmusik empfinden und freue mich über die schöne Resonanz, die ich von ihnen bekomme. Länger, als ich es ursprünglich vorhatte, spiele ich auf meiner Harfe im Aufenthaltsraum, zur Wohltat und zum Trost der Angehörigen im Raum. Das kleine Kind, die Tochter der jungen Frau, die als Patientin auf Station liegt, kommt immer wieder neugierig zu mir, wiegt sich zur Musik, und erlebt die Klänge der Harfe mit ihren kleinen Händen hautnah.
Meine Klangvisite auf den Zimmern startet. Ich stelle mich den Patienten und Angehörigen auf den einzelnen Zimmer vor und biete an, mit Harfe aufs Zimmer zu kommen. Nachdem ich am Krankenbett einer alten Frau gespielt habe, komme ich auf dem Flur ins Gespräch mit der Schwester der jungen Mutter.
Auf einmal geht alles ganz schnell. Ich weiß nicht mehr, von wem ich erfahre, ob von der Pflege, der Seelsorgerin oder der Schwester, dass die Trauung, beziehungsweise der Segen, heute, jetzt und hier am Krankenbett der jungen Frau stattfinden soll. Die Klinikseelsorgerin ist da, ich bin da mit meiner Harfe, die Klangvisite zu dem Ritual ist von den Angehörigen gewünscht, es kommen einfach alle Umstände zusammen, um das Ereignis jetzt und hier stattfinden zu lassen. Bevor ich auf das Zimmer gehe, muss ich mich erst fassen, zu sehr bin ich berührt von dem Schicksal der jungen Frau und ihrer Familie.
Als ich ins Zimmer komme, werden gerade Teelichter gerichtet und angezündet. Das Etui mit den Ringen ist da. Gläser für alle Beteiligten und Sekt werden vorbereitet. Die junge Frau sitzt mit Sauerstoffschlauch in der Nase aufgerichtet in ihrem Bett. Dr. Stanze kommt und bietet sich als Trauzeuge an. Ich beginne leise die kleine Träumerei in E-Dur zu spielen, einer sehr hellen und strahlenden Tonart, nur punktuell durchsetzt von den Tiefen der Mollparallellen – Traurigkeit, von Fröhlichkeit getragen. Pfarrerin Eva-Maria Bernhard, die Seelsorgerin, tritt ins Zimmer. Die Angehörigen, Vater, Mutter, Schwester und Partner, stehen und sitzen rund um das Krankenbett. Die kleine Tochter wuselt im Zimmer umher, kommt immer wieder zur Harfe, wiegt sich zur Musik und zupft an den Saiten. Ich spiele zum Einklang, bis die Seelsorgerin ihre geistliche Ansprache beginnt. Ihr Auftreten und ihre Rede spenden tröstliche Zuversicht und Sicherheit an die Anwesenden. Die Worte des Psalm 23 klingen im Raum. Denn du bist bei mir, der Kerngedanke dieses Psalms, gewinnt in Anwesenheit der Familie, von Mutter, Vater, Schwester, Schwager, Tochter so vielgestaltige Bedeutung, wirkt vom Geistigen ins Leben hinein. Die Trauworte werden gesprochen. Die beiden geben einander ihr Jawort.
Rührung im Raum und Weinen, als sich das Paar küsst. Leise und behutsame Harfenklänge zum Gluckern der Sauerstoffmaschine. Gemeinsames Gebet und Segen. Die Seelsorgerin bittet die Anwesenden, einander an den Händen zu halten. Die Angehörigen stehen im Kreis, einander an den Händen haltend, in ihrer Mitte die junge Patientin. Die Harfenmusik hält die Stimmung.
Ich bleibe noch eine ganze Weile im Raum, dessen Atmosphäre ich leise mit Harfe umspiele. Die Mutter meint zu mir, wie tröstend und beruhigend die Musik auf sie wirkt. Ich spiele mal leise, zart und kaum wahrnehmbar, dann wieder kräftig und ausholend, je nach Stimmung, die sich bei aller Traurigkeit auch immer wieder mal in einem gemeinsamen Lachen entlädt. Von so vielen Menschen erfahre ich immer wieder, wie sehr die Harfe trägt, und das ist es, was ich bewusst in meine Musik einfließen lasse.
Nach einiger Zeit verabschiede mich leise von allen einzeln, bis auf die Patientin, die gerade weggenickt ist, und wünsche alles Liebe. Draußen auf dem Flur nimmt mich eine der Palliativschwestern erstmal in die Arme. Heute bin ich zu nichts anderem mehr fähig und mache Feierabend.
Es war mir eine Ehre, diese berührende Trauzeremonie am Krankenbett auf Palliativstation mit Harfe zu begleiten.
© Astrid Marion Grünling
www.klangvisite.de