Die Steine zum Klingen bringen
14/25 Wie wohltuend Rituale in der Trauer sind, davon erzählt meine Klangvisite im Hospiz Advena von letztem Freitag.
Die zehnte Klangvisite im Hospiz Advena im Rahmen meines crowdfundingfinanzierten Projekts setzte ich letzten Freitag fort. In der vorherigen Woche war ich für die musikalische Umrahmung des Welthospiztages und einer Ausstellungseröffnung vom Hospiz gebucht. Danach ging ich auf Klangvisite auf den Fluren und zu einzelnen Bewohnern, jedoch nicht im Rahmen meines Projekts. So bleibt die Kontinuität meiner wöchentlichen Klangvisite für die Bewohner gewahrt.
Obwohl ich zur Zeit selbst in Trauer bin hatte ich die Buchung für die musikalische Begleitung des Welthospiztages am 13. Oktober im Haus Advena nicht abgesagt. Ich weiß, dass meine eigene Trauer in der heimeligen Atmosphäre des Hospizes und meiner Musik geborgen und umhüllt sein würde. Und so ist meine Musik an dem Tag nicht nur wohltuend für die Angehörigen und Besucher, sondern auch für mich tragend. Neben rein instrumentalen eigenen und bretonischen Stücken singe ich traditionelle und heilsame Lieder, von Harfe begleitet, und freue mich über die Mitsängerinnen, die sich spontan angezogen fühlen mitzusingen.
Eine davon ist eine Pflegerin, die selbst mit einer Freundin im Duo ganz wunderbare heilsame und spirituelle Musik macht und auch am Krankenbett singt. Sie liebt es besonders zu dem von mir komponierten Stück Thasim zu summen, und ihre wunderbare und innige Stimme erfasst mich immer wieder derart, dass ich Gänsehaut bekomme. Wir müssen unbedingt mal wieder zusammen Musik machen!
Ein sehr berührendes Abschiedslied ist das aus Schweden und Norwegen bekannte „Vem kan segla“ – auf deutsch „wer kann segeln ohne Wind“. Ich bin überrascht, als sich hinter mir eine Stimme einfädelt, die das Lied zunächst leise auf deutsch mitsingt, und, durch meine Ermutigung, mit sicherem Sopran und mit voller Stimme das Lied auf schwedisch singt. Zuhause übe ich die schwedische Aussprache ein und nehme das Lied auf. zur Aufnahme
Das Singen, die schönen Begegnungen durch die Musik und die heimelige Atmosphäre des Hauses tun mir in meiner Trauer so gut. Lydia Gretz, die Leiterin des Hospizes, hatte mir vor dem Welthospiztag angeboten, Steine mit den Namen der Verstorbenen zu beschriften und am Gedenkbrunnen im Garten abzulegen. Als die Besucher dem Vortrag über Hospizarbeit im Wintergarten lauschen, nutze ich die musikalische Pause für mein Ritual mit den Steinen.
Am Gedenkbrunnen draußen wähle ich zwei Steine aus, weiße, wohlgeformte, voll und rund in der Hand liegende Kiesel und gehe wieder ins Haus. Ich bin alleine im Foyer. Ich beschrifte die Steine mit den Namen, den Geburts- und Sterbedaten und lege sie auf den Fuß meiner Harfe. Mit den beschrifteten Steinen auf der Harfe spiele ich leise und zart meine Melodien. Manches wird im Leben nie mehr gut. Auf seelischer Ebene jedoch sind Trauer, Schmerz und Abschied, Verbundenheit und Dialog, und innere Haltungen mir gegenüber, zu Lebzeiten nie in Worten ausgedrückt, wahrnehmbar und spürbar, und mir die wenigen schönen verbindenden Augenblicke vergegenwärtigend, lege ich all das in meine Musik.
Ich spiele, bis ich die Harfenklänge leise verklingen lasse. Ich nehme die beklungenen Steine und gehe mit ihnen raus an den Brunnen. Mit einem inneren Gebet lege ich sie am Brunnen ab. Einige Augenblicke halte ich inne, bevor ich wieder ins Haus gehe und, nachdem ich mich wieder gefasst habe, meine Klangvisite bei den Bewohnern aufnehme.
Eine Bewohnerin ist am heutigen Tag verstorben. Sie war nur ein Jahr älter als ich. Ihren Eltern hatte meine Musik sehr gut getan, in den letzten Klangvisiten hatte ich von ihnen erzählt. Sie ist im Beisein ihrer Eltern friedlich eingeschlafen. Vor ihrer Zimmertür liegt eine Blume und brennt eine Kerze. Ehrfürchtig und auf leisen Sohlen betrete ich ihr Zimmer und bin erstaunt und berührt von ihrem Anblick. Sie sieht in ihrer Ruhe so wunderschön aus, wie ein Engel. So friedlich und so entspannt, mit einem entrückten, fast mysthischen Lächeln um die Lippen. Ich rechne jeden Augenblick damit, dass sie die Augen aufschlägt, und weiß doch, dass dies nicht sein wird. Ohne ein Wort zu sprechen verabschiede ich mich innerlich von ihr und verlasse den Raum.
Der Bewohner, der immer im Rollstuhl zu mir ins Foyer geschoben wurde und der die Harfenmusik so liebte, liegt in seinem Bett. Er ist garnicht mehr fähig zu sprechen. Ich spiele und singe ihm sein Lieblingslied vor und merke, dass ich damit bei ihm andocke, er innerlich mitgeht, auch wenn er nun nicht mehr mitsingen kann und sich nur in minimalen Ansätzen rhytmisch dazu bewegt. Die Woche darauf, bei meiner zehnten Klangvisite, ist er bereits verstorben.
Herrn Franz (Name geändert), dem ich das letzte Mal ein hölzernes Herz in die Hände gelegt und ihn fotografiert habe, freut sich riesig über den Fotoabzug, den ich ihm davon mitbringe.
Zuhause spüre ich die ganze Woche über die wohltuende und beruhigende Wirkung meines Rituals mit den Steinen.
Bei meiner zehnten Klangvisite die Woche darauf, am letzten Freitag, verteile ich Klangmassagen und Ständchen.
Ein Bewohner ist erst am Morgen dessselben Tages im Hospiz angekommen. Er ist in Begleitung einer Frau, die sich mir als seine Verflossene vorstellt. Beide freuen sich sehr über mein Angebot, mit der Harfe zu ihnen aufs Zimmer zu kommen. Während ich spiele, bemerke ich, dass er sinnierend die Augen schließt und ganz in den Klängen verweilt. Als ich ein Stück beende, biete ich ihm an, sich direkt neben mich an die Harfe zu setzen und eine Hand auf den Resonanzkörper des Instruments aufzulegen. Und während seine linke Hand auf der Harfe liegt, spiele ich bretonische Stücke mit tiefen Basstönen in tragendem harmonischen Rhythmus. Er hat seine Augen geschlossen, lächelt und geniesst. Ich gönne ihm eine ganze Weile der Klangmassage. Als ich sie behutsam beende, bedankt er sich strahlend und sagt, das geht durch und durch.
Auch einer weiteren Dame lasse ich eine Klangmassage zukommen. Sie ist heute allein auf ihrem Zimmer und ihr geht es garnicht gut. Die letzten Male war sie in Begleitung ihrer Freundinnen im Foyer und hat die beruhigende Wirkung der Harfe genossen. Ich spiele zwei, drei Stücke für sie, mit ihrer Hand auf der Harfe und lasse sie, bevor ihr alles zuviel wird, wieder allein. Draußen im Foyer spiele ich für eine Bewohnerin aus der dritten Etage ein Ständchen. Sie freut sich riesig.
Mit Herrn Franz halte ich ein kurzes Schwätzchen, nachdem ich lange bei geöffneten Zimmertüren für die Bewohner im ersten Stock spielte. Er spürt, dass er immer schwächer wird, sagt aber, dass er nächste Woche Freitag auf alle Fälle noch da sein wird, wenn ich wieder mit der Musik komme. Und danach muss er sich halt wieder was einfallen lassen, nur Winter, das packt er nicht mehr, meint er. Er fühlt sich innerlich auf Abruf, fühlt sich körperlich schwach und seelisch neugierig und gespannt auf das Kommende. Ich bin traurig. Wir verabreden uns für nächste Woche und er verabschiedet mich mit den Worten: Danke für die Musik.
Als ich meine Sachen packe kommt Rosi aus der Küche vorbei und bietet mir noch ein Wurstbrot und eine Suppe in der Küche an. Da sage ich nicht nein. Musik macht hungrig. Ich mache Feierabend.
Es ist ein tröstlicher Anker für mich mit den Steinen am Brunnen einen guten Ort für meine Trauer und des Gedenkens gefunden zu haben. Und jedesmal, wenn ich im Hospiz Harfe spiele, beklinge ich die Steine draußen am Brunnen ein bisschen mit.
© Astrid Marion Grünling
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