Da wird mir ganz leicht ums Herz
17/25
Wie wohltuend Harfenklänge am Krankenbett für Patienten im Sterbeprozess werden können, das durfte ich letzten Freitag auf der Palliativstation der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden erleben.
Als ich heute auf Station komme, werde ich freudig von einer Palliativschwester begrüßt. Wir kennen uns noch nicht persönlich, sie hatte jedoch von meiner Klangvisite letzte Woche am Krankenbett einer Patientin gehört, die ich mit Harfenklängen auf ihrem Zimmer am Krankenbett begleitet habe.
Ich erinnere mich an die für mich besonders eindrückliche Klangvisite bei der Patientin letzte Woche. Sie hatte sich ausdrücklich Harfenklänge auf ihrem Zimmer gewünscht und genoss die Klangvisite an ihrem Krankenbett sehr. Ganz beseelt von der Musik beschrieb sie, wie tief der Klang sie beruhigt habe und sie ihre Umgebung und das Krankenzimmer vergessen ließ. Ich gebe hier nochmal die eigenen Worten der fast achtzigjährigen Patientin wieder: „Der Klang ist Raum. Das beruhigt, ich fließe damit hinein und fühle mich wie in einem Raum, wie in einer Kirche, nicht mehr wie in dem Zimmer hier. Ich fühle mich ganz durchdrungen, das hält jetzt ein paar Stunden oder auch Tage an.“
Sieben Tage darauf ist sie im Beisein der Palliativschwester, die ihr im Augenblick ihres letzten Atemzugs die Hand hielt, ruhig und leicht verstorben.
Ich bin immer wieder froh zu erfahren, wenn der Augenblick des Sterbens leicht war. Es geschieht garnicht mal so selten, dass ich das so höre. Und ich bin unendlich dankbar, wenn ich erleben darf, wie entspannend, beruhigend und tröstend die Harfenmusik wirkt, wie Angehörige in ihrer Trauer auftanken oder Halt finden in der Musik, dass Patienten ruhiger werden, besser schlafen, und manchmal auch Linderung von Schmerzen erfahren.
Von diesen Wirkungen erfahre ich durch das unzählige Feedback von Patienten und Behandelnden, von Trauernden, von Angehörigen, von Begleitenden, und auch vom Pflegepersonal, von Ärzten und Seelsorgern. Sie alle dokumentieren durch ihr persönliches, in eigene Worte gefasstes Erleben die vielfältigen Wirkungen der Harfenmusik auf Körper, Geist und Seele.
Jeder von uns kennt die emotionalen Wirkungen von Musik aus eigenem Erleben. Die tiefgreifende gefühlsauslösende Wirkung von Musik basiert auf den unmittelbaren Nervenverbindungen zwischen unserem Hörorgan und dem Teil des Gehirns, der für unsere Gefühle zuständig ist. Dieses Hirnareal, das sogenannte limbische Gehirn, regelt unsere Gefühle, Überlebens- und Angstreaktionen. Es steuert aber auch Körperfunktionen wie Herzfunktion, Blutdruck, Hormone, Verdauungs- und sogar Immunsystem.
David Servan-Schreiber, ein verstorbener Neurologe und Psychiater, beschreibt in seinem Buch „Die Neue Medizin der Emotionen“ den Zustand innerer Ausgeglichenheit und Einklang im Herzen als Herzkohärenz. Diese Herzkohärenz, die durch Achtsamkeitsübungen, Meditation, Dankbarkeit und Verbundenheit trainiert werden kann, vermag physiologische Rhythmen wie Blutdruck, Atmung und Herzschlag positiv zu beeinflussen.
Da Klänge über das limbische System unmittelbar Herzschlag und Atmung beeinflussen können, erklärt sich die beruhigende und körperlich wie seelisch wohltuende Wirkung von Harfenmusik auf das körperliche Befinden von Patienten. Der Hörsinn als unser sensibelster Sinn ist nach Joachim-Ernst Berendt der erste Sinn, der bereits im vierten Monat im Mutterleib ausgebildet ist und der letzte unserer Körpersinne, der uns im Sterben verlässt. Nach den Ergebnissen der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler Ross erlischt der Hörsinn als letzter, wenn die übrigen Sinne schon längst nicht mehr aktiv sind. Gerade darum sind Klänge und Musik so unterstützend und tragend bei Patienten in ihrer letzten Lebensphase.
Wie oft erlebe ich, dass die Harfenmusik unterdrückte Gefühle ins Fließen bringt. Nach Servan-Schreiber sind Forscher in Berkeley sogar der Ansicht, dass nicht die emotionalen Gefühle als solche, sondern deren Unterdrückung durch das Denken unser Herz und unsere Arterien belaste. Einmal kam ich im Hospiz auf das Krankenzimmer einer Patientin, die weinend in ihrem Bett saß. Sie sagte mir, dass meine Musik sie zum Weinen gebracht habe. Zunächst war ich erschrocken darüber. Dann erklärte sie mir, dass sie die ganze Zeit nicht weinen konnte und die Musik die Tränen in ihr gelöst hätte, was sie als tief erleichternd empfand und ihr unendlich gut tat. Da wird mir ganz leicht ums Herz, beschrieb sie.
Die Autorinnen und Musiktherapeutinnnen Martina Baumann und Dorothea Bünemann beschreiben in ihrem Buch „Musiktherapie in Hospizarbeit und Palliative Care“, wie Musik und Klänge in der palliativen Versorgung umhüllend atmosphärisch im Krankenzimmer und im öffentlichen Raum wirken und spirituelle Ressourcen wecken können.
Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Rolf Verres, Diplom-Psychologe und Facharzt für psychotherapeutische Medizin, bis Herbst 2013 ärztlicher Direktor des Institutes für Medizinische Psychologie im Zentrum für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Heidelberg, ist selbst Musiker und Fotograf. Sein Anliegen ist es, Kunst, Musik und Heilkunst zu verbinden. Im Buch „Schwingung und Gesundheit“ spricht er davon, wie „manchmal eher die ganz zarten und leisen Töne auf die Patienten und vielleicht sogar auf die gesamte Atmosphäre wirken. Man muss dann nicht Paukenschläge machen, um wahrgenommen zu werden, sondern gerade durch das Pianissimo am Krankenbett habe er gesehen, wie das in die sonstigen Abläufe des Klinikalltags ausstrahlte. Da wurde Achtsamkeit und Behutsamkeit praktiziert, und das wirkte dann auch auf den Umgang des Personals untereinander und das Stationsklima.“
Harfenmusik am Krankenbett trägt zu mehr Menschlichkeit und einer Atmosphäre der Achtsamkeit in Gesundheitseinrichtungen bei. So wird sie zu einer heilsamen Kraft im Gesundheitssystem zur Krankheitsbewältigung, zu einem tragenden Element im Sterbeprozess, zur Ressource in Krisen und zur stärkenden Begleitung in der Trauer.
Es ist eine Arbeit, die mich im tief Herzen berührt, erfüllt und zutiefst dankbar macht.
© Astrid Marion Grünling
www.klangvisite.de